Naturkatastrophen sind atemberaubend und faszinierend zugleich. Doch entstehen sie meist spontan und ohne lange Vorlaufzeit und können sich im Handumdrehen in lebensgefährliche Wetterphänomene verwandeln. Schnell wird durch die passenden äußerlichen Faktoren aus einem Sommergewitter ein Sturm mit Starkregen und aus einem vermeintlich idyllischen Bach ein reißender Strom, der alles auf seinem Weg mit sich reißt. Deutschland ist durch seine geografisch und klimatisch einzigartige Lage statistisch gesehen eher seltener Wetterextremen und Naturkatastrophen ausgesetzt, dennoch ist ein durchdachtes und einwandfreies Krisenmanagement auch hierzulande unumgänglich. In Deutschland wird stark in die Vorsorge und das Katastrophenmanagement investiert, um im Krisenfall so schnell wie möglich Hilfe entsenden und die Folgen solcher Ereignisse eindämmen zu können. Dennoch gibt es mehrere Beispiele von Naturkatastrophen, die Deutschland in den letzten Jahrzehnten teilweise stark getroffen haben. In den folgenden Beispielen werden Katastrophen evaluiert und die Gründe für die hohen Sach- und Personenschäden ermittelt. Die daraus gezogenen Schlüsse dienen der Lösungsansätze des Katastrophenschutzes.
Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal
Die Flutkatastrophe im Juni 2021 ereignete sich in Teilen Westund Mitteleuropas und hatte ihren Höhepunkt in Deutschland. Das Sturmtief „Bernd“ verwüstete damals mit schweren Sturmfluten und Überschwemmungen viele Orte in Nordrhein-Westfahlen und Rheinland-Pfalz. Der Deutsche Wetterdienst maß teilweise über 150 Liter Regen pro Quadratmeter und berechnete eine Wiederkehrzeit einer solchen Sturmflut von mehr als 100 Jahren. Durch die langanhaltenden Starkregenfälle stiegen mehrere Flüsse über ihre Ufer, unter anderem Ahr, Erft, Ruhr und Wupper. Schnell entwickelte sich eine ausgedehnte Hochwassersituation und die beschaulichen Bäche und Flüsse stiegen zu reißenden Strömungen an. Durch die wiederkehrenden Regenfälle in den Wochen zuvor, konnte der bereits gesättigte Boden das eintretende Wasser nicht weiter aufnehmen und verstärkte das Wasseraufkommen. 1 Die größten Schäden hatte der Landkreis Ahrtal zu beklagen. Dort starben in den Fluten über 110 Menschen und die Sachschäden beliefen sich auf mehrere Milliarden Euro. Infrastruktur sowie Dutzende Häuser wurden zerstört und Menschen waren teilweise von Wassermassen umschlossen. Das letzte Starkregenereignis mit anschließender Flut ereignete sich 1910 im Ahrtal. Damals wurden Flutmaßnahmen mit gigantischen Wasserrückhaltebecken geplant, die einen Teil des Wassers speichern sollten. Die Pläne wurden in den 1920er Jahren aus Kostengründen allerdings nie umgesetzt und das Geld anderweitig ausgegeben. Diese Entscheidungen in Zusammenspiel mit mehreren Flussbegradigungen der Ahr und Ablaufrinnen an den Weinbergen in der Region potenzierten das Ausmaß der Zerstörung um ein vielfaches, so Expert:innen. Auch in anderen Ortschaften der Region gab es schwere infrastrukturelle Schäden und hohe Opferzahlen zu beklagen. Insgesamt starben in den Fluten vom 14. auf den 15. Juni 2021 über 180 Menschen und 5 Feuerwehrleute bei der Bergung von Vermissten. Rund 65.000 Menschen waren direkt von den Folgen der Flut betroffen. Auf einer Länge von rund 40 Kilometern wurden Brücken, Straßen, Wasser- und Stromleitungen und rund 9.000 Häuser komplett zerstört oder schwer beschädigt. 2 Die Schadensumme für versichertes Eigentum beläuft sich nach Berechnungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft auf etwa 5,5 Milliarden Euro. 3 Der Wiederaufbau der Infrastruktur von Straßen und Bahnstrecken wird nach Schätzungen des Bundesverkehrsministeriums auf über 2 Milliarden Euro beziffert. Der Bund und die Länder stellten Soforthilfen in dreistelligen Millionenhöhen zur Verfügung und Spendengelder wurden deutschlandweit gesammelt. Tausende Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, THW sowie freiwillige Helfer:innen waren aus dem gesamten Bundesgebiet unermüdlich im Einsatz um die Schäden der Flut zu beseitigen. 4 Auch nach mehr als 3 Jahren sind die Arbeiten in den betroffenen Gebieten noch lange nicht abgeschlossen. Der Wiederaufbau und die Reparatur der Gebäude und Infrastruktur wird wohl noch Jahre bis Jahrzehnte andauern.
Gründe der hohen Schäden und Opferzahlen
Beim Hochwasser im Ahrtal am 14. und 15. Juli 2021 starben dutzende Menschen in den Fluten. Doch hätte die Bevölkerung besser Geschützt und gewarnt werden können? Bereits am 10. Juli gab das Europäische Flutwarnsystem EFAS eine Warnung über Starkregen und Überschwemmungen im Gebiet des Rheins an die deutschen Behörden ab. Zwei Tage später am 12. Juli warnte der Deutsche Wetterdienst die Bevölkerung unter anderem über Twitter (heute X) über große Regenmengen in den kommenden Tagen. Die Daten wurden an die Hochwasserzentralen der Länder Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen weitergegeben. Das Landesumweltamt warnt Bevölkerung und andere Behörden vor schnell ansteigenden Wassermengen und erlässt am vormittag des 14. Juli die zweithöchste Hochwasserwarnstufe. Die Bevölkerung wird über die Katwarn-App informiert.
Die Katwarn-App ist eine Mobilfunkapp, die in Krisensituationen Warnmeldungen an die Bevölkerung herausgeben kann. So auch an diesem Tag geplant. Zusätzlich sollten Meldungen auf die ähnlich aufgebaute und ebenfalls für den Ernstfall eingeführte App „Nina“ gesendet werden. Die Meldungen konnten allerdings nicht gesendet werden, da es einen Fehler bei der Warn-App Nina gab. Dem zuständigen Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) war dies schon längere Zeit bekannt, jedoch wurde der Fehler nie behoben, so die Verantwortlichen von Katwarn. Weswegen keine Mitteilungen an Betroffene mit der Warn-App Nina über das anstehende Hochwasser versendet wurden. 5
Die Bürgermeisterin der Gemeinde Altenahr, Cornelia Weigand, bat das Landratsamt, den Katastrophenfall für die Region auszurufen. Doch es folgte keine Reaktion. Kurze Zeit später wurde vom Landesumweltamt die höchste Warnstufe (violett) ausgerufen. Auch hier erfolgte eine Warnung über die Katwarn-App. In der Kreisverwaltung richtete sich ein Krisenstab ein. Der zuständige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), schätzte den Ernstfall trotz mehrere Warnungen niedriger ein und ergriff erst spät Maßnahmen. Am Mittwochabend hatte das Hochwasser schon einen Stand von noch nie zuvor erreichten 5,75 Metern und das Wasser stieg weiter. Die Prognose des Landesumweltamtes erhöht sich auf fast 7 Meter. Der Wasserpegel stieg stetig an und die Messstationen lieferten keine Daten mehr, da sie selbst von den Wassermassen weggerissen wurden. Erst um 23:09 Uhr, gut 12 Stunden nach dem ersten Alarm des Landesumweltamtes, rief der Kreis Ahrweiler den Katastrophenalarm aus. Erst jetzt durften Einsatzkräfte der Bundeswehr, des THW und andere Hilfsorganisationen zu Hilfe gerufen werden. Vielerorts traten die Flüsse teils hunderte Meter über die Ufer getreten und Hunderte Häuser waren bereits in die Fluten gestürzt oder stark beschädigt. In den Tagen nach dem Flut wurde das gesamte Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Auch Landrat Pföhler, der die Meldungen ignoriert und weitere Rettungsmaßnahmen verweigert hatte, nannte die Flut die größte Katastrophe seit Ende des Zweiten Weltkriegs. 6 Um die Ursachen der Flutkatastrophe und die unzureichende und verspätete Warnung an die Bevölkerung aufzuklären, befasst sich seit September 2021 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit dem Thema. Gegen Jürgen Pföhler, den Landrat des Kreises Ahrweiler, liefen Verfahren wegen fährlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung. Er wurde im Oktober 2021 in den Ruhestand versetzt.
Das Verfahren wurde nach jahrelanger Ermittlung eingestellt, da es laut Staatsanwaltschaft nicht genügend Ermittlungsergebnisse für eine Anklage gebe. Allerdings sind die Fehler der Flutnacht aus Sicht des Untersuchungsausschusses gravierend, jedoch keiner einzelnen Person zuzuordnen. 7
Das Ergebnis über das Urteil wird in der Bevölkerung und den betroffenen Personen im Ahrtal mit Fassungslosigkeit und Entsetzen aufgenommen. Viele Bürgerinnen und Bürger können das Fehlverhalten der Behörden nicht nachvollziehen und hätten sich eine klare Anklage und harte Konsequenzen gewünscht, da mit dem Leben vieler Menschen leichtherzig umgegangen wurde. 8
Nicht nur, wurde viel zu spät gehandelt, auch Warnungen konnten durch bekannte Fehler in Systemen der Warnapps nicht alle Betroffenen erreichen. Zudem waren Zuständige nicht vollumfänglich und zu jeder Zeit mit allen Informationen vertraut und hatten die Situation falsch eingeschätzt, so der Bericht der Experten. Außerdem gab es kein erprobtes Evakuierungssystem, obwohl die Region in den letzten Jahrhunderten mehrfach von starken Sturmfluten betroffen war. 9
Doch es gibt auch Positivbeispiele für gelungenen Katastrophenschutz. Die Stadt Trier, etwa 100 Kilometer südlicher gelegen als das Altenahr, reagierte entschlossener. Als Wolfram Leibe, der Oberbürgermeister der Stadt Trier, die ersten Meldungen über die Unwetter- und Flutwarnungen erreichen, lässt er direkt eine Einsatzzentrale errichten. Diese blieb über den Zeitraums der Katastrophe ständig besetzt. Zusammen mit dem Leiter des Klinikums Mutterhaus beschloss er die Evakuierung mit Hubschraubern der Klinik und einem angrenzenden Altersheim mit 100 Patient:innen. Zu diesem Zeitpunkt ist noch kein Wasser in der Klinikanlage. Nach der Evakuierung steht das Areal mit samt der Gebäude unter Wasser und die Patent:innen wären durch die Wassermassen eingeschlossen gewesen. Angesichts der Voraussicht und der Einhaltung der Evakuierungspläne, kommen dadurch keine Menschen zu Schaden. 9 Zu diesem Zeitpunkt kam, nur wenige Kilometer weiter nördlich, für viele Bewohner.innen an der Ahr jede Hilfe zu spät.
Elbehochwasser 2002
Eines der verheerendsten Hochwasser in Deutschland trug sich im August 2002 zu. Betroffen waren vor allem die Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt. Durch mehrere nacheinander folgenden Niederschlagstage war der Boden bereits gesättigt. Der danach eintreffende Starkregen vom 11. bis 13. August konnte vom Boden nicht mehr aufgenommen werden und gelangte durch Nebenflüsse wie etwa die Weißeritz, Müglitz und Triebisch schließlich in die Elbe. Allein die Wassermassen an den drei Starkregentagen überstiegen das durchschnittliche Monatsmittel für den August der Elberegion. 10 Schon die Nebenflüsse der Elbe entwickelten sich zu reißenden Strömungen, die alles mit sich rissen und die Elbe schließlich zu ihrem höchsten je gemessenen Anstieg von über 9,4 Metern über Normal verhalfen. 11 Alleine am Verlauf der Elbe gab es insgesamt 21 Deichbrüche im Zusammenhang des Starkregens und der darauf folgenden Überflutung.
In Sachsen gab es insgesamt 21 Todesopfer, über 100 Menschen wurden verletzt und Tausende hatten teils erhebliche Schäden durch das Wasser zu beklagen. Die Gesamtsumme des Schadens beläuft sich nach Schätzungen zufolge auf zirka 11,4 Milliarden Euro. Hauptsächlich in den Bereichen der Infrastruktur, bei Wohngebäuden und Unternehmen. Jedoch sind auch zahlreiche Schäden an teilweise Jahrhunderte alten Kulturdenkmälern in der Sächsischen Landeshauptstadt entstanden wie etwa dem Dresdner Zwinger oder entlang der historischen Altstadt. Durch das Hochwasser sind nicht nur Infrastruktur und Menschen zu Schaden gekommen, die Bodenmesswerte stiegen nach dem Rückgang des Wassers teilweise über das zehnfache der Normalnorm an. Durch Gebiete mit hoher Bodenbelastung wurden die Stoffe aus alten Militärarealen und Bergbaugruben über weite Flächen verteilt und setzten sich in den Böden ab. Der Schaden im Dresdner Stadtgebiet wurde auf über eine Milliarde Euro geschätzt. Dresden hat seither zahlreiche Vorkehrungen zur Vorbeugung von Hochwasserschäden unternommen und mehrere hundert Millionen Euro in Hilfsmaßnahmen investiert. 12 Durch diese und weitere Maßnahmen war die Region und vor allem die Stadt Dresden für weitere Überschwemmungen vorbereitet. Nur vier Jahre später traf Dresden ein weiteres Hochwasser mit einem Pegelstand von 7,50 Metern und 2013 folgte erneut ein Jahrhunderthochwasser mit einem Scheitelpunkt von fast 9 Metern, das selbst Experten überraschte. 12 Der Prävention und genauen Planung und Umsetzung neuer Flutmaßnahmen ist es zu verdanken, dass große Teile des Stadtgebiets verschont werden konnten.
Gründe der hohen Schäden und Opferzahlen
Durch das Elbehochwasser wurden viele Gebäude, Kultureinrichtungen und Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen. Auch Tote waren zu beklagen. Der Katastrophenschutz arbeitete in großen Teilen reibungslos und hatte bis auf einige wenige Mängel die Lage durchaus im Griff. Der Fokus der Probleme lag bei dieser Naturkatastrophe in großen Teilen in der Prävention. Durch den schlechten Zustand des Schutzwaldes im Erzgebirge und angrenzenden Mittelgebirgen konnte der Boden kein zusätzliches Wasser aufnehmen. In intakten Schutzwäldern speichert der Boden bis zu 250 Liter pro Kubikmeter und gibt dieses nach und nach wieder an die angrenzenden Flüsse ab. Durch die Nichtaufnahme des Wassers im Boden wurden die Bäche zu reißenden Nebenflüssen der Elbe, die schließlich das Wasser aufnahm. Versäumnisse in der Pflege und Aufforstung von Monokulturen anstatt nötigen Mischwäldern haben dem Wald zugesetzt und passiv zum Ausmaß der Katastrophe beigetragen.
Des Weiteren haben diverse Begradigungen von Flussläufen, wie etwa der Elbe und Bebauungen und Trockenlegungen von natürlichen Überschwemmungsgebieten zur Überflutung beigetragen. Beispielsweise wurden nach Überschwemmungen in den 60er Jahren in der Region zum Schutz Ausweichflächen und Wiesen angelegt, die das notwendige Wasser hätten aufnehmen können. Diese wurden allerdings nach der deutschen Wiedervereinigung durch Nichtbeachtung des Hochwasserschutzes bebaut. Auch Begradigungen und die Zurückdrängung der Elbe tragen dazu bei, dass nahezu keine offenen Ausweichflächen bei einer Überschwemmung zur Verfügung stehen. 13 Bei diesem Beispiel sehen wir, dass die Prävention von Naturkatastrophen, in ohnehin anfälligen Regionen, ein ausschlaggebendes Mittel sein kann um solche Ereignisse abzuschwächen und moderat zu halten. Die Nichtbeachtung des Hochwasserschutzes führt unwiderruflich zu einem drastischen Anstieg der Folgen und Folgekosten solcher Ereignisse.
Orkan Lothar 1999
Am 26. Dezember 1999 zog Orkan „Lothar“ über Teile Frankreichs, der Schweiz und Süddeutschland hinweg. Er galt schon damals als Vorbote des Klimawandels und wurde als Jahrhundertsturm beschrieben. Er hinterließ auf seinem Weg eine gnadenlose Schneise der Zerstörung. Mit seinen Windgeschwindigkeiten von unglaublichen 272 Kilometern pro Stunde gilt er als der verheerendste Sturm des Jahrhunderts. In ganz Europa starben durch ihn über 110 Menschen an umherfliegenden Trümmerteilen. 14
Nach dem durchqueren Frankreichs und den Schäden an der Küste und in Paris, setzte der Orkan seine Verwüstung in Deutschland fort. Er fegte in den frühen Morgenstunden des 26. Dezember über das Saarland und erreichte schnell Baden-Württemberg und Bayern. Der Schwarzwald wurde besonders stark von den Orkanböen verwüstet. Der Orkan zerstörte allein in Deutschland schätzungsweise zirka 30 Millionen Bäume. und verwüstete Waldflächen von etwa 40.000 Hektar, was umgerechnet mehr als 54.000 Fußballfeldern entspricht. Allein in Deutschland sterben in nur zwei Stunden 13 Menschen durch herabfallende Bäume und Trümmer und auch in den Tagen und Wochen danach werden 25 Forstarbeiter:innen Opfer von verkeilten Bäumen, die sich durch die schnelle Entladung des Drucks wie Geschosse verhalten. Über 450 Menschen werden bei Aufräumarbeiten teils schwer verletzt. Auch in den Nachbarländern sind hohe Zahlen an Todesopfern zu beklagen. 15 Die Aufräumarbeiten zogen sich durch die teils gravierenden Schäden Wochen hin. Vielerorts waren Straßen und Bahnschienen durch Bäume blockiert, Strommasten eingestürzt und unzählige Dächer abgedeckt. Die wirtschaftlichen Schäden beliefen sich damals auf umgerechnet etwa 11,5 Milliarden Euro. Doch auch der Ökologische Schaden für die Forstwirtschaft war enorm. Teilweise konnte der Baumbestand erst Jahre später komplett aufgeforstet werden. Zudem sank der Preis für Fichten um 45%, was eine dramatische wirtschaftlichen Schaden in der Forstwirtschaft darstellte. Der Jahrhundertorkan Lothar legte die Schwächen des Warn- und Vorsorgenetzes in Europa und Deutschland offen. Seither wurden Warnsysteme für Unwetter auf Landesebene erweitert und Länderübergreifende Systeme modernisiert. 16 Doch es gibt auch gute Nachrichten. Durch die Zerstörung des Waldes konnte der Umbau der Waldflächen von oft teils reinen Nadelwäldern hin zu Mischwäldern schneller vollzogen werden. Durch die Aufforstung von Laubbäumen wird der Boden gestärkt und der Wald ist resistenter und diversifizierter als ein reiner Fichtenwald, wie es ihn davor oft gegeben hatte. 14
Gründe der hohen Schäden und Opferzahlen
Am Vorabend des 26.12.1999 gab es bereits Berichte und Aufzeichnungen über die Vorhersage eines außergewöhnlich schweren Sturms. Doch die Bevölkerung wurde erst wenige Augenblicke vor Eintreffen des Sturms über Radio und das Fernsehen gewarnt. Den meisten blieb keine Zeit mehr für eine Sicherung von Dächern, losen Teilen, die sich durch den Sturm zu Geschossen entwickeln konnten oder der Rettung in sichere Räume. 17 Der Deutsche Wetterdienst räumte nach dem Orkan durchaus Fehler ein. So hätte die Berechnung des Sturms durch die kleinräumige und schnelle Entwicklung in der Simulation des Wetterdienstes eine andere Dimension gehabt. Der deutsche Wetterdienst stellt allerdings auch einen Mangel in der Informationsvermittlung sowie das fehlen eines effektiven Warnsystems fest. So sei es nicht gelungen Warnungen der alarmierenden Wetterdaten über Medienkanäle an die Bevölkerung zu entsenden. 18 Eine frühe flächendeckende Warnung hätte vermutlich auch hier Menschenleben retten und Sachschäden vermeiden können.
Hitzesommer 2003
Was für einige als ein nie endender Sommer beschrieben wurde, war für tausende Menschen in Deutschland und Europa tödlich und eine der schlimmsten Naturkatastrophen des Kontinents. Im Sommer 2003 stiegen die Temperaturen in ganz Europa auf ein Rekordhoch. So wurde in Portugal eine der höchsten Temperaturen jemals in ganz Europa gemessen. Sogar in der Schweiz wurden Rekordwerte gemessen, die bis heute nicht überboten wurden. Und auch hierzulande stellte der Sommer Hitzerekorde auf. In Deutschland wurden Temperaturen von über 40 Grad Celsius gemessen. Das verheerende war allerdings die anhaltende Dauer der Hitze. So wurde in Freiburg an insgesamt 53 Tagen im Jahr eine Temperatur von über 30 Grad gemessen, was für die Region eine enorme Hitzeperiode darstellte. Durchschnittlich lag die Temperatur in Deutschland 3,4 Grad höher als der errechnete Mittelwert der Jahre 1961 bis 1990. 19
Allein in Deutschland starben in den Sommermonaten schätzungsweise 7600 Menschen mehr als in den durchschnittlichen Zeiträumen der Jahre zuvor. 20 Expert:innen schätzen die Zahl der Hitzetoten in Europa allein in den Sommermonaten auf 50.000 und 70.000. 21 Auch die Zahl der Tropennächste, also Nächte in denen die Temperatur nicht unter die 20 Grad Marke fällt, gab es in Deutschland zahlreiche über einen längeren Zeitraum hinweg.
Gründe der hohen Schäden und Opferzahlen
Aus dem Klimastatusbericht von 2003 geht hervor, dass Deutschland damals weder über die Bewertung des Klimas für die Gesundheit in der Bevölkerung, noch eine Vorsorgeplanung für eine solche Hitzeperiode verfügt hat. Portugal, Großbritannien, Kanada und die USA hatten schon damals solche Vorkehrungen für ihre Länder getroffen und die Sterblichkeit durch Hitzetote nachweislich reduzieren können. 22 Durch die Tatsache, dass Extremwetterereignisse und Hitzeperioden durch den Klimawandel verstärket werden, wird nun vermehrt auch in den Hitzeschutz investiert. Im vergangenen Jahr wurde unter der Leitung von Karl Lauterbach ein neuer Hitzeschutzplan des Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht. Darin soll die Sensibilisieren der Bevölkerung gestärkt, die Zahl der Hitzetoten reduziert und Warnmaßnahmen verbessert werden. 23
Hochwasser 2024 in Süddeutschland
Ende Mai 2024 steigen durch langanhaltenden Regen die Pegelstände vieler Flüsse in Baden-Württemberg und Bayern. Durch den ohnehin schon feuchten Frühling ist der Grundwasserstand gut gefüllt und die Böden können nur wenig zusätzliches Wasser aufnehmen. Vielerorts treten Flüsse über die Ufer und Straßenzüge werden überschwemmt. In Baden-Württemberg sind vor allem die Regionen rund um Stuttgart und der Rems und Murr-Kreis betroffen. Vielerorts wurden Personen und teilweise ganze Straßenzüge evakuiert und in Sicherheit gebracht. Tausende Keller liefen voll, Häuser wurden zerstört und es gab dutzende Erdrutsche in den betroffenen Gebieten. Rettungskräfte der Polizei, Feuerwehr, des THW und der DLRG waren dauerhaft im Einsatz. 24
Auch in Bayern traf es die Bevölkerung hart. Mehrer Messstationen lieferten Daten, die zuletzt vor 50 bis 100 Jahren gemessen wurden. Besonders betroffen sind Städte und Kommunen entlang der Donau, Isa und Inn. Die Städte Passau und Regensburg riefen den Katastrophenfall aus. Die Altstadt von Passau stand komplett unter Wasser, da dort Donau und Inn aufeinandertreffen. Passau ist durchaus Hochwasser erprobt, jedoch ist auch hier ein Pegelstand von zehn Metern eine besondere Herausforderung. Rund um die Alt- und Innenstadt kam das alltäglich Leben nahezu zum erliegen. An den Orten, an denen Menschen nicht evakuiert wurden, gab es Straßensperrungen, der Schulunterricht fiel aus, der ÖPNV war in weiten Teilen zum erliegen gekommen. In den überfluteten Bereichen wurden von Helfenden Boot-Verbindungen bereitgestellt um Menschen zu befördern oder Nahrungsmittel und Wasser zu liefern. Da die Inn nicht so schnell wie erwartet abfließen konnte, staute sich auch die Donau zurück. Vielerorts liefen teilweise spektakuläre Rettungsaktionen. In Neu-Ulm harrte eine Frau über 52 Stunden in einer Baumkrone aus, nachdem sie von den Wassermassen überrascht worden war. Durch eine Drohne wurde sie gesichtet und im Anschluss von Rettungskräften gerettet. 25
Anfang Juni entspannte sich die Lage etwas und die Pegelstände gingen sehr langsam zurück, doch der Wetterdienst warnte bereits vor weiteren starken Regenschauern.
Ministerpräsident Markus Söder sicherte in einem Interview Soforthilfen von „100 Millionen plus x“ zu. Mit diesem Geld sollen Privatpersonen, Gewerbetreibende, sowie Land- und Forstwirte unterstützt werden. Trotz des weiter anhaltenden Hochwassers schätzen Expert:innen des Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) die Schäden schon jetzt auf mehr als 2 Milliarden Euro. Die Summe könnte allerdings noch weiter steigen, da an mehreren Orten das Hochwasser noch nicht komplett zurückgegangen und die Schäden somit noch nicht endgültig absehbar seien, so der Verband. Infrastrukturschäden wie Brückenarbeiten oder Straßenneubauten sind in dieser Summe allerdings nicht enthalten. Außerdem sind in Baden-Württemberg und Bayern nicht alle Häuser gegen Hochwasser gesichert. In Bayern liegt die Quote lediglich bei 47 Prozent, in BW bei etwa 94 Prozent. 26
Vgl. Deutscher Wetterdienst: Einordnung der Stark- und Dauerniederschläge in Teilen Deutschlands vom 12. bis 19. Juli 2021, 2021, https://www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/ niederschlag/20210721_bericht_starkniederschlaege_tief_bernd.pdf ↩︎
Vgl. Bundeszentrale für poliische Bildung: Jahrhunderthochwasser 2021 in Deutschland, 2021, https://www.bpb.de/kurz-knapp/jahrhunderthochwasser-2021-in-deutschland/ ↩︎
Vgl. Gesamtverband der Versicherer: Tiefdruckgebiet „Bernd“: GDV erhöht Schadenschätzung auf 4,5 bis 5,5 Milliarden Euro, 2021, https://www.gdv.de/gdv/medien/medieninformationen/ tiefdruckgebiet-bernd-gdv-erhoeht-schadenschaetzung ↩︎
Vgl. Bundeszentrale für poliische Bildung: Jahrhunderthochwasser 2021 in Deutschland, 2021, https://www.bpb.de/kurz-knapp/jahrhunderthochwasser-2021-in-deutschland/ ↩︎
Vgl. Mainzund: Warum die Warnapp Nina im Ahrtal nichtwarnte, 2022, https://mainzund. de/warum-die-warnapp-nina-im-ahrtal-nicht-warnte-katwarn-betreiber-erheben- im-ausschuss-in-mainz-schwere-vorwuerfe-gegen-bundesamt-bbk/ ↩︎
Vgl. WDR: Ahrtal unter Wasser – Chronik einer Katastrophe, 2021, https://reportage. wdr.de/chronik-ahrtal-hochwasser-katastrophe ↩︎
Vgl. Tagesschau: Ausschuss zur Ahrtal-Flut, 2023, https://www.tagesschau.de/inland/ innenpolitik/ahrtal-flutbilanz-100.html ↩︎
Vgl. Tagesschau: Flutkatastrophe im Ahrtal, 2024, https://www.tagesschau.de/inland/ gesellschaft/flutkatastrophe-ahrtal-110.html ↩︎
Vgl. Focus Online: Das vernichtende Urteil des Experten zur Ahrtal-Flutnacht, 2023, https://www.focus.de/earth/report/das-vernichtende-ahrtal-zeugnis_id_254485836.html ↩︎ ↩︎
Vgl. Undine: Hochwasserereignisse im Elbegebiet, https://undine.bafg.de/elbe/extremereignisse/ elbe_hw2002.html ↩︎
Vgl. Dresden Online: Hochwasser und Elbpegel in Dresden, https://www.dresden-online. de/hochwasser-historie.html ↩︎
Vgl. Dresden: Hochwasser in der Vergangenheit, 2024, https://www.dresden.de/de/ stadtraum/umwelt/umwelt/hochwasser/vergangenheit.php ↩︎ ↩︎
Vgl. Static Klett: Infoblatt Elbehochwasser 2002, 2024, https://static.klett.de/assets/ terrasse/Elbehochwasser_2002.pdf ↩︎
Vgl. Stuttgarter Zeitung: Orkan Lothar im Jahr 1999, 2019, https://www.stuttgarter-zeitung. de/inhalt.rueckblickauf-das-sturmtief-lothar-im-jahr-1999-der-jahrhundert-orkan ↩︎ ↩︎
Vgl. Badische Neueste Nachrichten: Sturmkatastrophe vor 20 Jahren, 2019, https://bnn. de/karlsruhe/orkan-lotharund-seine-folgen-100-jahre-wald-sterben ↩︎
Vgl. wetter online: Der Weihnachtsorkan LOTHAR – Teuerster Sturm in Europa, 2020, https://www.wetteronline.de/extremwetter/der-weihnachtsorkan-lothar-teuerstersturm- in-europa-1999-12-26-ol ↩︎
Vgl. Fraunhofer: Lernen aus “Lothar”, 2001, https://publica.fraunhofer.de/entities/ublication/ 7305a601-3c4d-4be1-b4a3-8e5714dac748/details ↩︎
Vgl. Süddeutsche Zeitung: Extremjahr 2003 – das war der Sommer des Jahrhunderts, 2016, https://www.sueddeutsche.de/wissen/hitzewelle-extremjahr-2003-der-sommerdes- jahrhunderts-1.3154032 ↩︎
Vgl. Robert Koch-Institut: Schätzung hitzebedingter Todesfälle in Deutschland zwischen 2001 und 2015, 2019, https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/6799/AnDer- Heiden2019_Article_SchätzungHitzebedingterTodesfä.pdf ↩︎
Vgl. EU Community Action Programme for Public Health: Report on excess mortality in Europe during summer 2003, 2007, https://ec.europa.eu/health/ph_projects/2005/ action1/docs/action1_2005_a2_15_en.pdf ↩︎
Vgl. Deutscher Wetterdienst: Die Auswirkungen der Hitzewelle 2003 auf die Gesundheit, 2003, https://www.dwd.de/DE/leistungen/klimastatusbericht/publikationen/ ksb2003_pdf/09_2003.pdf?__blob=publicationFile&v=1 ↩︎
Vgl. Bundesministerium für Gesundheit: Hitzeschutzplan für Gesundheit des BMG, 2023, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/ H/Hitzeschutzplan/230727_BMG_Hitzeschutzplan.pdf ↩︎
Vgl. Südwest Presse: Hochwasser in BW aktuell, 2024, https://www.swp.de/panorama/ unwetter-in-bwaktuell-hochwasser-welche-regionen-sind-bedroht-34251-73912151.html ↩︎
Vgl. Tagesschau: Hochwasser in Süddeutschland, 2024, https://www.tagesschau.de/ newsticker/liveblog-hochwasser-dienstag-100.html#Millionen ↩︎
Vgl. Tagesschau: Schäden gehen in die Milliarden, 2024, https://www.tagesschau.de/ inland/regional/hochwasser-sueddeutschland-versicherung-100.html ↩︎